Zum
Konzert in der Reihe „Podium für junge Solisten“spannte das
Adelphi Quartett einen Bogen über die in den ersten drei Jahrzehnten
des 19.Jh. stattgefundene dichteste kammermusikalische Entwicklung
damit, und zeigte mit
Beethovens erstem
Streichquartett und Schuberts letztem
Streichquintett Spielqualitäten von Weltrang. Das
Publikum des annähernd vollbesetzten Tegernseer Barocksaals war
von dem jungen
Ensemble ausnahmslos begeistert. Maxime
Mihailuk, 1. Violine, Esther Augusti Matabosch, 2.Violine,Marko
Milenkovic, Bratsche, Simon Dechambre Cello, und im 2.Teil des
Konzertes dazu, Maciej Kulakowski, Cello, offenbarten sich als
Spitzenensemble, vier, und später fünf Musiker, die als Saiten
eines Instrumentes gemeinsam, und doch jeder mit seiner
Persönlichkeit, das Innerste der jeweiligen Musik erzählen. Die
Form
Streichquartett kam
erst
ab circa 1805 in
die
Öffentlichkeit
, als der Geiger Schuppanzig und sein Quartett diese Gattung aus der
privaten gutbürgerlichen und adeligen „Kammer“ in die Salons der
Abendgesellschaften brachte. Beethovens erste
Auseinandersetzungdamit,
die dem Fürsten Lobkowitz gewidmeten 6 Quartette op. 18, entstanden
1799/80, und obwohl schon sehr individuell, zeigen noch seine Suche
nach einem eigenen Stil, orientieren sich stark an den Vorbildern
Haydns und Mozarts und beinhalten gleichzeitig neue Ideen emotionaler
und formaler Art.
Das
Adelphi Quartett nahm den ersten Satz Allegro con brio des op.18,
Nr.1in F-Dur, dessen Aufbau das Kopfmotiv immer neu entdeckt und
verarbeitet, mit lebensfroher Sensibilität und feinsinnigem Ton, in
elastischem, geschmeidigen Spiel. Wie ein Quartett-Requiem, eine
Erinnerung an Mozarts Werk, erklangen die ersten Töne des d-moll
Adagio. Aus fahlem, langsam pulsierenden, entferntem Klang
entwickelt sich die Melodie der 1. Geige zu emotionsgeladener
Spannung, Schmerz und Zerknirschung auf unerbittlichem Bass Metrum
ausdrückend. Wie ein Rückblick auf liebevolle Zeiten hellt als
sehnsuchtsvolle Erinnerung eine F-Dur Episode auf, um in äußerstem
pianissimo zu entschwinden. Dass Beethoven dabei an die tragische
Grabesszene aus Shakespeares „Romeo und Julia“ gedacht hat, ist
überliefert und schlüssig. Aus dem Scherzo machte das Adelphi in
delikater und behender Spielart ein Frühlingswind von
fröhlich-entspannter Leichtigkeit, heftigere Impulse gab es im Trio.
Spiellaunig, quirlig und immer der harmonischen und motivischen
Arbeit folgend, gaben sich die vier Musiker dem Schwung des finalem
Allegro hin, bravourös mit der Coda abschliessend.
Über
diesen unheimlichen
Gipfel
der Kammermusik, entstanden ab September 1828, das Streichquintett D
956, op. Posth.163 in C-Dur, schrieb Joachim Kaiser :„ Schuberts
Streichquintett nimmt einen singulären Platz in der Musikliteratur
ein. Es ist rätselhaft und es ist vollendet.“ Vom ersten
langgezogenen C-Dur Akkord bis zum letzten mit dem bedrohlich
wirkenden Des-Vorschlag ist dieses ausgedehnte, ca 50 Minuten lange
Stück von einer Warnung durchzogen, Lebt!Tempus fugit, und
tatsächlich hat Schubert selbst, der im November 1828 starb, es
nicht mehr anhören können. Die Besetzung mit zwei Celli gibt der
Komposition ein generell dunkleres Timbre und die Möglichkeit im
Bassbereich sowohl sonore Tiefe wie auch tenorale Höhe zu entfalten.
Das Adelphi Quartett holte aus diesem besonderen Werk edelste
Romantik, inniges Gefühl, Staunen, Schwungund Klangvollendung. Die
Verbundenheit ihres Spiels, mit elastisch-geschmeidigen Klang, die
intensive Hingabe ihrer Interpretation, insbesondere der Doppelgesang
der Celli, wirkten überirdisch. Im Adagio ließen die Musiker
idyllisch den Gesang der Mittelstimmen strömen und vibrierend
erklingen, während Violine 1 und Cello sich mit Motiveinwürfen und
Pizzicato unterhielten. Stürmisch nahmen sie den aufwühlenden
f-Moll Einbruch, bebend die Dramatik betonend, ließen den
anfänglichen Traum zurückkehren, die unheimlichen Schatten jedoch
auch mitklingen. Klang-kräftig und vital begannen und beendeten die
Musiker das Scherzo, und zeigten im Des-Dur Trio dessen
unheimlich-jenseitige Atmosphäre. Tänzerisch beschwingt, eine Prise
Wiener Charme anspielend, nahm das Adelphi Quartett den Finalsatz,
ohne die unterschwellig mitschwingende Warnung zu vernachlässigen,
und sich bis zur Verschmelzung dem Sog der schneller werdenden Musik
in der Coda hingebend.„Musik von Wahrheit und Tiefe, die es auch
mit dem Tod aufnehmen kann.“Zit J.Kaiser.
Dem
Begeisterten Publikum, das nicht mehr zu klatschen aufhören wollte,
boten die fünf jungen Musiker Astor Piazzollas „Libertango“
als Zugabe.
Marcus
Vitolo